Das Blatt war weiß.

Das Blatt war weiß, weil ich nicht fertig war. Mit jeder Stunde im Unterricht brachte ich nur ein weißes Blatt hervor. Morgen war Abgabe. Ich in der Aula, nachdem ich die Betreuerin des Jungeninternats gefragt hatte, mir die Schule aufzuschließen.

Dunkel, dachte ich.

Dabei war es erst vier. Vier und schon so dunkel, dass man kaum drei Schritte vor sich sehen konnte. Die Lichter in der Schule gingen auch nicht an. Verdammte Bauarbeiter – für die musste heute der Strom nach Schulbetrieb abgekappt werden. Provisorisch hatte ich also mein Handy als Lichtquelle auf die Fensterbank neben mir gestellt. Heute war niemand sonst in der Aula, kein Wunder an einem so dunklen Donnerstag Nachmittag. Ein Glück, dass Frau Weigel im Unterricht nicht bemerkt hatte, dass ich noch Nichts aufs Blatt gebracht hatte. Also grübelte ich weiter vor meinem weißen Blatt. Von draußen kam ein Knarzen der Tür, aber niemand trat herein. Ein Knarzen, das sich für eine halbe Ewigkeit zog. Es erklang so lang, dass ich letztendlich doch von meinem Blatt zur Tür aufschaute; Nichts. Ich starrte in die dunkle Leere, denn das Handy war leider nicht stark genug, um den Raum bis zur halbgeöffneten Aula-Tür zu erleuchten. Warte – die hatte ich doch extra geschlossen?

Spürbar zog ein Wind durch den Raum – Vom Klavier über die Tribüne zur Tür und an meinem Ohr vorbei. Ein stechender Schmerz durchfuhr mein Ohr und eine Welle des Grauens zog sich von meinen Schultern über meine Beine. Erschrocken saß ich da. Aber – Die Fenster waren alle zu. Es war eigentlich mollig warm und windstill in diesem Raum, doch mit diesem einen Wind erschien der Raum kalt und mit der modrigen Luft eines Grabmals überzogen.

Der Schatten war nun getaucht in Dunkelblau und ein blutroter Fleck auf meinem weißen Papier stach unweigerlich sehr heraus. Es schimmerte, das Blut auf meinem Blatt, und tropfte langsam vom Tisch herunter.

Tropf, tropf, tropf. Es bildete sich ein Pfad aus Blut, der zur Tür führte. Ich stand auf. Das ist doch völlig verrückt. Ich schnappte mir schnell mein Handy und lief durch die Tür hinaus. Ich hatte das seltsame Gefühl, dass mir irgendetwas folgen würde – Doch mein Schatten war es nicht. Tatsächlich war mein Schatten sogar verschwunden. – Verschluckt vom tiefblauen Meer der Dunkelheit. Selbst mit meiner Handy-Taschenlampe hatte ich keinen Schatten an meiner Seite.

Ich eilte die Treppe hinab, doch auf der letzten Stufe stand Wasser bis zu meinen Knöcheln. Ein See hatte sich mitten im Schulgebäude aufgetan – Ein roter See. Ein roter See.

Blut!

Mir wurde kotzübel und ich rannte erneut die Treppen hoch. Verdammte Scheiße, was passiert hier? Als ich wieder einigermaßen gerade stehen konnte, sah ich wieder nach unten – Doch mein „Meer“ war wie vom Erdboden verschluckt. Sobald ich wieder runter kam verdoppelten sich die Geräusche meiner Schritte. – Doch immer noch war ich allein. Oder?

Ich spürte einen warmen Atem in meinem Nacken und einen Schatten über meinem Rücken – Jedoch nicht meiner. Etwas berührte meine Arme und es fühlte sich an, als würde man eine Nadel durch mein Fleisch schießen.

Ich rannte so schnell ich konnte weg. Hauptsache weg, also landete ich im noch offen stehenden Sekretariat. Zu meiner Überraschung war ein Licht im Nebenzimmer, in Frau Rieds Büro, hell entzündet. Mir war in dem Moment egal, ob Frau Ried sich in dem Zimmer befand, also stürmte ich ins Nebenzimmer um Schutz im Licht zu finden. Frau Ried war nicht da.

Frau Ried war nicht da.

Wieso war das Zimmer erleuchtet? Und wie überhaupt? Verdammt, es muss doch irgendjemanden in diesem Gebäude geben, der mir helfen könnte! In dem Büro fand sich Nichts, was mir hätte helfen können. Wenn das Ding durch die Tür gestürmt wäre, hätte ich höchstens den Rundtisch nach ihm werfen können. – Oder ich wäre aus dem Fenster gesprungen. Aber meine Chance, von diesem Sprung heil davonzukommen wäre wohl genauso gut wie dem Ding in die Arme zu laufen. Es ruckelte immer heftiger an der Tür, die ich mit ganzer Kraft von innen geschlossen hielt.

Der Krach an der Tür wurde immer lauter.

Bumm, bumm, BUMM

Es stürzte mich auf den Boden, als das Ding die Tür aufbrach. Aus dem Tiefblau hervor gestiegen war eine Kreatur, dessen Haut bleichweiß war, es schien als pochte sie und ihr Gesicht – wenn man es so nennen konnte – sah aus, als hätte es die letzten zwei Wochen nicht in Träumen gelegen. – Zumindest nicht in Guten. Graues Haar überdeckte die Augen, welches einen hellsilbernen Schimmer hatte, der gerade in diesem Licht einschüchternd auf mich wirkte. Das Ding trat näher zu mir und ich erkannte: Es war Frau Ried.

„Du hast vergessen, die Stunde vom Montag auf deinem Entschuldigungszettel abzeichnen zu lassen…“


Von Victoria Porten

Bildquelle: https://kunstgymnasium-rlp.de/schule/rundgang/