Am letzten Montag Vormittag wurden in Alzey weitere Stolpersteine verlegt, die an die in der NS-Zeit verstorbenen jüdischen Personen in Alzey erinnern. Dabei wurden für die Verlegung dieser Stolpersteine auch einige Schüler sowohl des Römerkastell-Gymnasiums, des Elisabeth-Langässer-Gymnasiums als auch unseres Pädas eingeladen, dabei zu sein und die Personen hinter den Stolpersteinen zu präsentieren. Natürlich war auch eure Schülerzeitungsredaktion mit dabei, um das Ganze für euch zu dokumentieren.
Die Verlegung und die Aktion generell wird von dem Altstadtverein Alzey organisiert, mit besonderer Leitung durch Renate Rosenau, der Leiterin des Arbeitskreises „Juden im Alzeyer Land“, welche sich schon lange mit der Euthanasie während des Nazi-Regimes als auch mit Alzeyer Juden beschäftigt. Von unserer Schule waren die Mitglieder der Antidiskriminierungs-AG „AG Courage“ und ihre Leiterin, Frau Schwede-Botheroyd vor Ort und haben 5 Personen präsentiert. Die Stolpersteine wurden vom Künstler Gunter Demnig angefertigt und verlegt, der mittlerweile schon zum fünftem Mal Alzey einen Besuch abstattete.
Die 16 neu verlegten Stolpersteine sind die Folgenden: Martin Levi in der Kaiserstraße 6, Regine Schloss in der Bleichstraße 6, Johannes Augustinus Mayer in der Weberstube 23, Sophie Ella Weiner in der Antoniterstraße 57, Minna Baum in der Antoniterstraße 31, Bertel und Eugenie Mainzer in der Klosterstraße 3, Mina, Max, Meta und Marianne Mayer in der Klosterstraße 5, Jacob, Caroline und Kurt Moses Strauß in der Antoniterstraße 20 und Johanna Schwarz, Henriette und Simon Oppenheimer in der Amtgasse 6. Die von unserer AG Courage vorgestellten Juden und Jüdinnen sind Regine Schloss, Sophie Ella Weiner, Johanna Schwarz und Henriette und Simon Oppenheimer.
Zu Regine Schloss:
Regine Schloss (geb. Scheuer) wurde am 02.08.1851 in Framersheim geboren, wo ihr Vorfahr Seligmann Schloss Vorsänger der jüdischen Gemeinde war. Am 25.06.1873 heiratete sie Adolph Schloss, mit dem sie vier Kinder bekam, wovon nur zwei die frühe Kindheit überlebten. Ihr Sohn wurde 1876 geboren und hieß Karl, er wurde erfolgreicher Kaufmann und Lyriker. Zudem wurde seine Tochter Sybille später Schauspielerin und Kabarettistin. Die Tochter von Regine wurde 1881 geboren und hieß Paula. Sie überlebte die NS-Zeit im Exil in den USA. Regine lebte mit ihrer Familie ab 1888 in der Bleichstraße 6 in Alzey, wo sie angesehene Mitbürger waren und in vielen Bereichen mitgewirkt haben. So hatten ihr Mann und sie auch einen Kurzwarenhandel, dann einen Zigarrenhandel und eine Zigarrenfabrik. Regine zog nach dem Tod ihres Ehemannes Adolph zu ihrer Tochter und deren Mann nach Mainz. Im April 1939 zog sie dann in ein Altersheim in Den Haag in den Niederlanden, wohin ihr Sohn und seine Frau emigriert waren, um sich der Judenverfolgung zu entziehen. Sie und weitere Bewohner wurden letztendlich nach Ausschwitz verschleppt, wo sie am 26.02.1943 im stolzen Alter von 92 Jahren ermordet wurde. Ihr Sohn Karl wurde knapp ein Jahr nach ihrer Verschleppung verhaftet und letztendlich ebenfalls in Ausschwitz am 03.01.1944 ermordet. Seine Frau wurde am 20.01.1944 im Frauen-KZ Ravensbrück ermordet. Paula und Karls Tochter Sybille flohen erfolgreich in die USA, wo Paula 1970 und Sybille 2007 verstarb.
Zu Sophie Weiner:
Sophie Ella Weiner wurde am 30.08.1889 in Alzey geboren, als drittes von vier Kindern von Adolf und Jula Weiner. Sie selbst, ihre Eltern, Großeltern und Geschwister waren erfolgreiche und angesehene Alzeyer Bürger. Sophie hatte eine leichte Gehbehinderung und blieb unverheiratet. Trotzdem trat sie ins aktive Berufsleben ein, um als Schneiderin ausgebildet zu werden und eine Nähschule in ihrem Elternhaus zu führen, bis sie wahrscheinlich 1936 oder 1938 das Gewerbe aufgeben musste. Sie zog mit ihrer Mutter 1940 nach Darmstadt, wo ihre Mutter zwei Wochen vor Sophies Deportation im Altersheim starb. 1943 verlor Sophie im Ghetto Theresienstadt ihr Leben. Ihre Schwester Ida Helene wurde am 26.09.1942 im KZ Treblinka umgebracht. Die Spur ihres Bruders Paul Bernhard verliert sich leider ab 1921, wo er mit Ida nach Stuttgart zog. Nur ihr Bruder Friedrich Wilhelm und seine Kinder überlebten im Exil in Buenos Aires.
Zur Familie Oppenheimer:
Simon Oppenheimer wurde am 27.05.1880 in Wolfskehlen geboren. Henriette Oppenheimer (geb. Schwarz, Schwester von Johanna Schwarz) wurde am 16.02.1880 in Alzey als Tochter des Gemeindedieners der jüdischen Gemeinde, Hermann Schwarz, geboren. Nach ihrer Hochzeit am 10.12.1907 lebte Simon als Kaufmann mit seiner Frau ab 1930 in einem Lagergebäude in Alzey in der Schlossgasse 46. Heute ist dieses Gebäude abgerissen und durch Neubauten ersetzt, weswegen die Stolpersteine mit dem Stolperstein von Henriettes Schwester Johanna an deren letztem freiwilligen Wohnort platziert sind. Durch die „Entjudung“ verlor die Familie Oppenheimer 1935 ihr Eigentum und verarmte. Daher zogen sie in die damalige Adolf-Hitler-Straße (heute Weinrufstraße), wo sie von der jüdischen Witwe Helene Koch aufgenommen wurden. Während des Novemberprogroms 1938 wurde Simon und weitere 15 jüdische Männer verhaftet und in „Schutzhaft“ zum KZ Buchenwald verschleppt. Er kam frei und seine Familie zog mit Johanna am 21.12.1938 nach Frankfurt. Letztendlich wurden sie bei der ersten großen Deportation von Frankfurt zum Ghetto Lodz am 03.10.1941 verschleppt und beide starben dort. Zuerst Simon und dann seine Frau am 05.03.1942.
Zu Johanna Schwarz:
Johanna Schwarz wurde am 26.01.1891 in Alzey geboren als Tochter des jüdischen Gemeindedieners Hermann Schwarz und dessen Ehefrau Ernestine. Zudem hatte sie eine Schwester, Henriette (siehe Familie Oppenheimer). Johanna blieb unverheiratet und verdiente sich ihren Lebensunterhalt durch den Verkauf von Steinöl oder Petroleum. Mit der Familie ihrer Schwester zog sie nach Frankfurt in der Hoffnung, den Nazis zu entkommen. Letztendlich wurde sie zusammen mit der Familie ihrer Schwester im Oktober 1941 ins Ghetto Lodz deportiert, wo sie am 19.01.1942 den Tod fand. Alle drei liegen auf dem jüdischen Friedhof in Alzey bestattet.
Nach der Verlegung bedankte sich Renate Rosenau noch bei allen Organisatoren, den Schulklassen und dem Künstler und äußerte sich natürlich positiv darüber, dass weitere Stolpersteine verlegt werden konnten. Aber berichtete sie auch, dass es noch mehr Stolpersteine gebe, die verlegt werden könnten. So zum Beispiel für die „Geisteskranken“, wie sie damals die Patienten der Rheinhessen-Fachklinik nannten oder auch für die behinderten Kinder, die aufgrund ihrer Behinderung oft schon früh ermordet wurden.
Danach konnte ich mit unserer AG Courage noch ein kleines Interview zur Verlegung und ihren Gedanken zu dem ganzen Thema erhaschen. Im Gespräch mit mir waren Frau Schwede-Botheroyd, Darja Scherbina, Ivie Schütz, Justine Koenen, Luzie Braun, Mia Singer und Leonie Schweickert.
Wie war die Vorbereitung zu eurem Beitrag?
Wir konnten im Januar überhaupt erst mit unserer AG-Arbeit weitermachen, weil Corona uns stark hinderte. Da hat uns Frau Schwede-Botheroyd das Projekt vorgestellt und wir waren alle interessiert. An den Texten haben wir erst seit den letzten drei oder vier Wochen gearbeitet. Frau Rosenau hat uns geholfen und war auch bei uns an der Schule, um uns ihre Archivarbeit zu den Personen, die wir vorstellen sollten, zu präsentieren. Da hatte sie auch Archivmaterial vom Landes- und Bundesarchiv und auch aus den USA. Das war wirklich eine schwierige Arbeit, weil viel Material zerstört oder auch verstreut war. Es gibt dadurch auch eine große Dunkelziffer der Toten in der Zeit. Der Sohn der Familie Weiner ist zum Beispiel verschwunden. Aber ja, wir haben eben über die fünf Personen zu den Steinen, die wir vorgestellt haben, genauer recherchiert.
Wie war diese Archivarbeit?
Man kann als Normalbürger auch in diese Archive gehen und im Gedenkbuch nachschauen; im Bundesarchiv gibt es auch viele Informationen, z.B. Unterlagen von Konzentrationslagern. Beim Standesamt in Alzey kann kann man ebenfalls nachschauen, aber vieles ist einfach abhanden gekommen. Die Familie Baum war zum Beispiel seit dem 17. Jahrhundert in Alzey ansässig und dadurch richtig einheimische Alzeyer Bürger. Eine Nachfahrin der Familie Baum war heute morgen bei der Verlegung mit dabei. Andere jüdische Familien, wie zum Beispiel die Familie Oppenheimer, hatten keine Kinder und sind völlig ausgelöscht. Viele sind auch in den Deportations-Zügen umgekommen. Aber ein paar kleine Anekdoten, wie z.B., dass Regine Schloss viel Appetit hatte, lassen die Personen lebendig wirken und erinnern uns daran, dass diese Menschen eben ganz normale Menschen waren. Das hilft zusätzlich, sich an diese Menschen und ihr Leben zu erinnern.
Wollt ihr uns noch Näheres zum Sinn der Aktion erzählen?
Ja, es geht eben darum, sich an die Opfer zu erinnern, damit sie nicht in Vergessenheit geraten. Es ist krass, wie viele Stolpersteine allein in Alzey verlegt sind, wie viel allein in Alzey passiert ist. Die Alzeyer Synagoge hatte damals auch kurzzeitig jemand in Brand gesetzt, der Brand wurde aber gelöscht, da zu viele Häuser um die Synagoge standen. Während der Reichsprogromnacht wurden hier auch ganz viele heilige jüdische Gegenstände zerstört und gestohlen. Ein Alzeyer Lehrer soll in dieser Zeit auch an dem Tag nach der Reichsprogromnacht mit seiner Schulklasse zur Synagoge gegangen, um zusammen mit seinen Schülern weitere Gegenstände zu zerstören. Die Synagoge ist dann nach und nach abgebaut worden. Jüdische Geschäfte wurden in dieser Nacht ebenfalls überfallen. Man könnte natürlich jetzt versuchen, die restlichen Gegenstände zu finden, aber vielleicht hätten die Leute, in deren Besitz sie sich aktuell befinden, Angst, ihre Familienangehörigen als Nazis zu outen. Es ist auch einfach heuchlerisch, wie viele das Nazitum ihrer Vorfahren verleugnen. Frau Schwede-Botheroyd weiß auch von einem Zugführer, der einen Jude geschützt und mitgenommen hat, da er in der Waggonfabrik arbeitete und irgendwie zur Arbeit kommen musste. Dieser Zugführer war Parteimitglied. Ihr Großvater war auch Parteimitglied und hat einen jüdischen Dachdecker für sein Haus eingestellt. Justines Uroma ist auch geflohen, weil sie Kritiken geschrieben hat. Da ist sie auch mit einer anderen jüdischen Familie geflohen. Es ist wichtig, dass man sich mit der Vergangenheit der eigenen Familie auseinandersetzt. Letztendlich auch, weil viele Juden durch unsere Vorfahren ermordet worden sind und leiden mussten. Im Ghetto Lodz mussten Juden selber die Verwaltung übernehmen und damit auch die eigenen Leute verraten. Juden wurden immer sehr degradiert, um von ihrem Leid zu profitieren. Traumata von sowohl Juden als auch von jedem, der Schreckliches gesehen hat oder erleben musste, können auch durch transgenerationale Weitergabe von Traumata weitergegeben werden, sodass noch Generationen später jemand daran leiden kann. Deutschen Soldaten im Massaker in Babi Jar/ Babyn Jar nahe Kiew wurde damals auch Unterhaltung geboten, um deren Trauma des Krieges zu verdrängen.
Es ist sehr erstaunlich, wie umfangreich das ganze System zur Judenvernichtung damals war und wie viel bis heute noch darüber geschwiegen wird. Bei Luzie wurde auch lange verschwiegen, was ihre Familie in der Zeit gemacht hat. Unschuldige Leute wurden komplett ausgenommen bis ins Kleinste, bis hin zu ihrem Zahngold und ihrer Haut. Jeder Deportierte musste seine Deportationskosten selbst bezahlen und wenn derjenige nicht zahlungsfähig war, musste er mit Besitz bezahlen. Jüdische Menschen wurden auch zuhauf für Experimente missbraucht. Die verantwortlichen Wissenschaftler wurden nach dem Krieg auch oft von den USA aufgenommen und ihre Studien wurden weiterverwendet. Ethik und Medizin waren quasi zwei verschiedene Sachen. Hitler und viele andere Nazis nahmen auch ganz viele psychische Medikamente, um „das Beste“ aus sich raus holen zu können. Es ist verrückt, was alles passiert ist.
Vielen Dank für das Interview
Im Folgenden Video könnt ihr noch die Rede zur Familie Oppenheimer und Schwarz sehen:
Geschrieben von Victoria Porten
Quellen:
Flyer von der Veranstaltung
https://www.lagrlp.de/index.php/die-lag/der-sprecherrat/biografien/12-renate-rosenau